Zu Ehren unserer Großmütter und Großväter

In meiner Arbeit als Therapeutin begegnen mir immer noch wieder die Themen unserer Kriegszeit. Männer, die nicht fühlen können und keine Präsenz und Kraft haben, Frauen, die ihren Zugang zur Intuition und zur sanften Weiblichkeit nicht spüren können. Sichtbar intensiver, je näher die Menschen den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt haben – und so (ungewollt) auch an die Jüngeren weitergegeben haben. Herzen, die verschlossen sind und Angst haben. Wie sollte es anders sein?

Den Krieg erlebt zu haben ist für diese Menschen schrecklich gewesen. Es war zu schrecklich, um darüber zu reden, und vor allem das Erlebte zu fühlen. Und sie mussten viel arbeiten, um überleben und sich ernähren zu können. Wie haben diese Menschen es eigentlich geschafft, in kurzer Zeit ganze Städte wiederaufzubauen? Ohne dass all das schreckliche Erlebte verarbeitet werden konnte?

Mein Großvater konnte es auch nicht aus seinen Gefühlen entlasten, jedoch konnte er darüber reden. Er hat mir erzählt, als ich noch sehr klein war, weil ich noch zuhören konnte. Jede Nacht vorm Einschlafen. Und ich habe jahrelang den Krieg geträumt. Meine Großmutter hat bis zu ihrem Tode Lebensmittel gehortet, aus der Angst heraus, dass der Krieg wiederkommt. Wenn in der Nacht ein Gewitter tobte, musste ich aufstehen und wir haben uns angezogen und sind mit den Sparbüchern und einer geweihten Kerze in der Küche gesessen. Gewappnet, falls der Blitz einschlägt. Erst vor einiger Zeit ist mir bewusst geworden, dass meine Großeltern in dieser Situation die Bombenalarmsituation im Krieg sich immer wieder geschaffen haben. So habe ich die Angst zu sterben sehr früh kennen gelernt und gewissermaßen auch den Krieg miterlebt. Ich musste viel verarbeiten.

Heute hilft mir das, zu verstehen. Es ist so wichtig, dass wir unsere Großmütter und Großväter würdigen. Würdigen dafür, dass sie dieses Schicksal getragen haben. Für uns getragen haben. Sie hatten keine Wahl. Dass wir aufhören zu jammern und zu fragen, warum wir keine Präsenz und Liebe bekommen haben, sondern dahinschauen, wie es war, und verstehen, dass es nicht anders sein konnte. Und dass wir unsere Schmerzen enlasten und unsere Tränen weinen, vielleicht stellvertretend für unsere Ahnen.

Viele verstorbene Seelen halten noch fest. Fühlen sich schuldig und wollen wieder gutmachen. Wenn wir ihr Schicksal würdigen und unsere Schmerzen heilen, können sie frei sein.

So blüht, mein Röslein, heute an diesem Gedenktag für all meine Ahnen, und wenn Du magst, auch für die Deinen. Danke von Herzen, Ihr vertrauten Seelen, für den Weg, den Ihr gegangen seid, für all das, was ihr geben konntet, und für das Wertvollste: Mein Leben. Nehmt zu jeder Zeit Platz an meiner Seite und lasst mich lauschen, welchen Weg ihr mir empfehlt, und lasst mich spüren, mit welcher Kraft und Liebe Ihr mich unterstützt. Friede in aller Herzen – so sei es.
veröffentlicht am 01.11.2017 · alle News-Meldungen anzeigen
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